Inklusion: Bauen für alle Bedürfnisse
Hier geht es nicht weiter. Anna schaut über die Stufen zum Eingang der Bibliothek. Mit ihrem Rollstuhl kann sie gut umgehen. Im Alltag braucht sie keine Hilfe von anderen. Aber ihre Freiheit hat Grenzen. Und die sind oft nicht natürlich. Denn Menschen wie Anna sind darauf angewiesen, dass andere ihre Bedürfnisse mitbedenken. Wenn Verantwortliche bei Bauprojekten oder Veranstaltungen auf sie vergessen, sind sie ausgeschlossen. Oder können nur teilhaben, wenn andere ihnen helfen. Das ist ein drastischer Einschnitt in die persönliche Freiheit. Die Lösung ist aber einfach: inklusives Bauen.
Was bedeutet inklusives Bauen?
Ein Gebäude gilt dann als inklusiv, wenn es leicht auffindbar, problemlos zugänglich und für alle gleichermaßen nutzbar ist. Anders gesagt: Wer inklusiv baut, schafft barrierefreie Räume, in denen sich alle Menschen willkommen fühlen. Das schließt nicht nur Personen mit Rollstuhl oder anderen Mobilitätshilfen mit ein: Alle, die von visuellen, auditiven oder kognitiven Einschränkungen betroffen sind, zählen dazu. Inklusives Bauen erleichtert also beispielsweise auch älteren Menschen oder Eltern mit Kinderwägen das Leben. Artikel 9 der UN- Behindertenrechtskonvention legt fest, dass allen Menschen die uneingeschränkte Teilhabe in allen Lebensbereichen ermöglicht werden muss. Die Vertragsstaaten verpflichten sich dazu, geeignete Maßnahmen in Gebäuden, Transportmitteln und anderen Bereichen umzusetzen. So kann der gleichberechtigte Zugang für Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen sichergestellt werden. Barrierefreie Räumlichkeiten ermöglichen Selbstbestimmung. Davon profitieren sehr viele Menschen. Laut Studien ist inklusive Raumgestaltung für rund 10 % unentbehrlich und für 40 % zumindest fallweise notwendig. Neben Menschen mit Behinderung ist es vor allem die immer älter werdende Bevölkerung, die auf Inklusion angewiesen ist. Schon heute ist in Österreich jeder fünfte Mensch über 65 Jahre alt. Bis 2080 dürfte es laut Statistik Austria bereits jeder Dritte sein. Inklusives Bauen ist deshalb auch nachhaltiges Bauen. Ein wichtiges Investment in die Zukunft der Gesellschaft.
Wie geht inklusives Bauen?
Welche Bereiche in einem Gebäude oder Außenbereich für die Inklusion besonders relevant sind, bestimmen – je nach Art des Bauvorhabens – oft unterschiedliche gesetzliche Mindestvorgaben. In Österreich sind diese unter anderem in der ÖNORM B 1600 zusammengefasst.
Dazu zählen etwa folgende Aspekte:
- Gebäudezugänge und alle weiteren Durchgänge müssen eine Mindestbreite von 90 cm haben.
- Personen mit Rollstuhl benötigen speziell im unmittelbaren Türbereich ausreichend Platz zum Navigieren.
- Türen sollten sich automatisch oder leicht öffnen lassen, um kein Hindernis darzustellen.
- Wenn Rampen geplant werden, dürfen diese eine maximale Steigung von 6 % und eine minimale Breite von 120 cm haben. Nur so können mobilitätseingeschränkte Personen sie problemlos alleine nutzen.
Doch nicht nur die Barrierefreiheit von Ein- und Ausgängen oder WC-Anlagen müssen bei der Planung eines inklusiven Bauprojekts bedacht werden. Auch die allgemeine Orientierung für Menschen mit Einschränkungen ist wichtig. Durch visuelle, spürbare und akustische Leitsysteme können alle Personengruppen eine gleichwertige Raumnutzung genießen. Dazu zählen Noppen oder Bodenleitlinien, die Blinde und sehbehinderte Menschen mit dem Langstock ertasten können. Oder akustische Signale und Stockwerks-Ansagen im Lift. Bei der Projektplanung darf selbstverständlich nicht auf besondere Bedürfnisse in Notfallsituationen vergessen werden. Flucht- und Rettungswege sowie Sammelstellen müssen für alle Personengruppen zugänglich, sicher und effizient miteingeplant werden.
Räume für Begegnungen schaffen
Schwellenlose Zugänge, klare Orientierung und viel Platz für Begegnungen – so inklusiv kann Architektur sein. Barrierefreies Bauen ist ein vielschichtiges Unterfangen, bei dem man zahlreiche Aspekte berücksichtigen muss. Gleichzeitig ist es aber ein nachhaltiges Investment in die Zukunft. Wer von Beginn an alle Zielgruppen mitbedenkt, kann bei großen und kleinen Bauprojekten kreative Lösungen schaffen, die Lebensqualität erhöhen und mehr Miteinander in unserer Gesellschaft ermöglichen.