Stadtquartier Europaallee Zürich Hauptbahnhof
Die „Europaallee“ in Zürich ist eines der wichtigsten Stadtentwicklungsgebiete der Schweizer Metropole. Drei von acht Baufeldern hat die PORR umgesetzt.
Der Hauptbahnhof Zürich ist einer der meistfrequentierten Bahnhöfe der Welt. Das machte nicht nur die Logistik zu einer echten Herausforderung. Zusätzlich konnten auch die Baugruben der einzelnen Baufelder nicht getrennt voneinander geplant und umgesetzt werden. Und Teile der Gebäude mussten unter und über den Gleisen errichtet werden.
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AuftraggeberSBB AG
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AuftragnehmerPORR SUISSE AG
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ProjektartHochbau
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AuftragsvolumenCHF 310 Mio. (EUR 286 Mio.)
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Baubeginn04/2015
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Bauende06/2020
Allgemeines
Das Stadtquartier „Europaallee“ am Zürcher Hauptbahnhof blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Unter dem Namen „HB Südwest“ wurden schon in den 70er-Jahren erste Ideen für eine Umnutzung des 80.000 m² großen Areals in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs gesammelt. Und relativ rasch wieder verworfen. Um die Jahrtausendwende gab es unter dem „Eurogate“ einen weiteren Versuch, der aber im Jahr 2001 an einer Volksabstimmung scheiterte. Erst der dritte Anlauf unter dem heutigen Namen „Europaallee“ im Jahr 2004 war von Erfolg gekrönt. Damals starteten die Schweizerischen Bundesbahnen und die Stadt Zürich gemeinsam einen städtebaulichen Planungsprozess mit dem Ziel einer nachhaltigen Wertschöpfung für das brachliegende Areal. Das Ergebnis ist ein aus acht Baufeldern bestehender neuer Stadtteil, der neben 400 Wohnungen und 170 Hotelbetten auch 8.000 Arbeitsplätze sowie Raum für 4.800 Studierende der Pädagogischen Hochschule Zürich (Baufeld A), der KV Business School (Sihlpost) und der Juventus (Baufeld H) schafft. Mit der Realisierung der Baufelder B, D und F war die PORR SUISSE AG maßgeblich am Bau von Zürichs neuer Landmark beteiligt.
Schmale Schönheit
Gemeinsam mit der denkmalgeschützten Sihlpost bildet das nach Plänen der Zürcher Stücheli Architekten errichtete Gebäude auf Baufeld B den Auftakt zum neuen Stadtteil „Europaallee“. Auf einer schmalen trapezförmigen Parzelle zwischen Gleisfeld und Europaplatz errichtet, besteht es aus einem zweigeschossigen Sockel und einem siebengeschossigen Riegel.
Schon die Baugrube wurde zu einer echten Herausforderung für die PORR. Aufgrund der Dichte des Gesamtprojekts konnten die Baugruben für die einzelnen Baufelder und Lose nicht getrennt voneinander geplant und ausgeführt werden. Deshalb wurden die Baugruben für das Baufeld B, das Baufeld D sowie die Baulose „Aufgang Europaallee“ und „Velostation“ gemeinsam geplant und realisiert. Erschwerend kam hinzu, dass einzelne Bereiche der neuen Gebäude unter und über den Gleisen des Hauptbahnhofs zu errichten waren. Eine weitere Herausforderung war die nötige Umlegung eines Medienkanals, der für die Ver- und Entsorgung des Hauptbahnhofs zuständig ist. Dabei musste die Fernwärmeversorgung für den Bahnhof während der gesamten Bauarbeiten aufrechterhalten werden.
Die Baugrube wurde aus einer Kombination von Rühlwänden (Trägerbohlwände) und Spundwänden gesichert und mit mehreren Ankerlagen rückverankert. Das anfallende Wasser wurde in Pumpschächten gefasst, die Qualität automatisch überwacht und danach in die Sihl abgepumpt.
Komplexe Logistik
Die „Europaallee“ war eine klassische innerstädtische Großbaustelle mit all den damit verbundenen Herausforderungen. Deshalb wurde etwa die Logistik der Baustelle in enger Abstimmung mit der SBB und den Behörden geplant und umgesetzt. Neben dem An- und Abtransport von Materialien und Arbeitskräften mussten auch große Passantenströme zum und vom Bahnhof gesteuert werden. Dafür errichtete die PORR umfangreiche Wegführungsmaßnahmen und sichere Absperrungen zu den Gleisen und zur Baustelle.
Optimale Konstruktion
Bei dem Gebäude auf Baufeld B handelt es sich um eine Stahlbeton-Skelett-Konstruktion mit geschossweisen Pendelstützen, Stahlbetondecken und aussteifenden Kernen. Zusätzlich kann das Gebäude mit einigen Besonderheiten aufwarten. Dazu zählen Gebäudeteile, die sich unter und über den Gleisen erstrecken, die Gründung auf verschiedenen Untergründen und Lastverteilerdecken über den Untergeschossen und über dem ersten Obergeschoss. Um in den Untergeschossen und im Erdgeschoss stützenfreie Flächen für die Anlieferung, die Gastro- und Retailnutzung zu erhalten, mussten zudem die Lasten über die Decken „spazieren geführt“ werden.
Über dem ersten Obergeschoss wurde eine große Auskragung errichtet, in die Lasten aus acht darüber liegenden Geschossen eingeleitet werden. Die Decke des gesamten ersten Obergeschosses dient als Abfangträgerdecke für die darüber folgenden Decken vom zweiten bis sechsten Obergeschoss respektive bis zum neunten Obergeschoss. Die zweite Auskragung mit der Abfangdecke im sechsten Obergeschoss trägt die darüber liegenden Geschosse, vom siebten bis zum neunten Obergeschoss. Die Decke des ersten Obergeschosses besteht aus insgesamt 13 Abfangträgern. Angedacht war, diese mit Querschnittsabmessungen von 3.13 x 1.80 m und als vorgespannte Stahlbetonunterzüge auszuführen. Aufgrund von Lasteinwirkungen unter anderem aus Eigengewicht und Auflast bzw. daraus resultierenden Kurz und -Langzeitverformungen wurde jeder dieser Abfangträger in Stahlbauweise realisiert. Die darüberliegende Decke hat das Team in einer Stahl-Beton-Verbund-Bauweise errichtet.
Vorgehängte Fassade
Die lagernde Ausrichtung des Gebäudes wird durch die umlaufend angeordneten Brüstungsbänder aus schwarzem schwedischen Granit in den Obergeschossen betont. Zwischen den Brüstungen sind Fensterbänder mit elektropolierten edelstahlverkleideten Stützen und Fenster aus Eukalyptusholz angeordnet. Die Beschattung der Fenster erfolgt über außenliegende Rollstore aus Alu-Mikrolamellen.
Die gesamte Fassade ist eine Vorhangkonstruktion. Sie leitet ihre Lasten geschossweise in die Stirnseiten der Decken ein. Die Brüstungsbereiche sind als hinterlüftete Fassadenkonstruktion ausgeführt. Die Fassade wurde mit perforierten Schwarz-Schwedischen-Granit-Natursteinplatten bekleidet.
Technische Daten Baufeld B
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Bruttogeschossflächeca. 24.000 m²
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Bürofläche12.300 m²
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Retail-/Gastrofläche2.450 m²
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Länge113 m
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Breite21,14 m
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Höhe39,95 m
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Fassadenfläche10.717 m²
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Umbautes Volumen112.155 m³
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Bruttogeschossvolumen8.463 m³
Zwei Türme
Wie das Gebäude auf Baufeld B überschreiten auch die beiden sechsgeschossigen Türme auf Baufeld D die Hochhausgrenze. Am Fuß verschmelzen die beiden Türme nach Plänen der holländischen Wiel Arets Architekten zu einem viergeschossigen Sockel, der ebenfalls eine Auskragung auf Gleisseite über dem Bahnsteig bildet.
Besonders auffallend ist bei dem Projekt die farbliche Zurückhaltung. Die geschlossenen Fassadenteile sind aus Weißbeton gefertigt, die Metallteile der Fassade aus brüniertem Messing. Diese Material-Kombination dominiert auch das Gebäudeinnere. So sind die Eingangsbereiche und die Lifte mit weißem Terrazzo verlegt und die Wände der Liftkabinen ebenfalls mit brüniertem Messing verkleidet.
Hoher Glasanteil
Die gesamte Fassade der beiden Türme ist wie auf Baufeld B eine Vorhangkonstruktion, die ihre Lasten geschossweise in die Stirnseiten der Decken einleitet. Im Vergleich zum Baufeld B ist der Glasanteil dieser Fassade aber deutlich höher. Nicht verglaste Bereiche der Fassade sind auf die konstruktiv notwendigen Verkleidungen der Rahmenkonstruktionen und Deckenansichten reduziert.
Diese Activ-Air-Plus-Fassade besteht aus zweischaligen, geschlossenen Alu-Profilrahmen-Fensterelementen mit in den Scheibenzwischenraum integrierten, frei verschiebbaren Vorhängen. Die restlichen Fassadenflächen wurden mit vorgehängten Fertigteilrahmen aus teilweise geschliffenem bzw. gesäuertem Weißbeton verkleidet. Die Betonrahmen mit Maximalabmessungen von 2,5 x 4,5 m mussten nach dem Einbau der Fensterelemente über die Unterkonstruktion „gestülpt“ und mit Edelstahl-Zugankern am Rohbau befestigt werden. Sämtliche Weißbetonoberflächen sind hydrophobiert und oleophobiert und so vor Feuchtigkeit und Öl geschützt.
Technische Daten Baufeld D
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Bruttogeschossfläche25.150 m²
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Bürofläche15.730 m²
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Retail-/Gastrofläche3.750 m²
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Maximale Auskragung9 m
First Class
Für die Planung des Gebäudes auf Baufeld F zeichnete das Zürcher Architekturbüro „Boltshauser Architekten“ verantwortlich. Deren Markenzeichen ist die Verwendung von Glasbausteinen und Lehm sowohl bei der Fassade als auch der Innenausstattung von Gebäuden. Dementsprechend enthalten die einzelnen Fassadenelemente, die als vorgefertigte Elemente auf die Baustelle geliefert und in einem Stück montiert wurden, eine Materialkombination aus unterschiedlichen, in Metallprofilen gefassten Natursteinen, Glasbausteinelementen und Fenstern mit Öffnungsflügeln. Dafür wurden zwei verschiedene Natursteinsorten – roter Sandstein und geschliffener Muschelkalkstein verwendet. Alle Fenster werden mit außen liegendem Sonnenschutz beschattet.
Angenehmes Klima
Die Materialien der Fassade kommen auch in den Innenräumen zum Einsatz. So wurden vor allem in den Nasszellen Glasbausteinelemente eingesetzt. Der Fassadenstein fand im Bodenbelag eine weitere Verwendung. Auch bei diesem Projekt haben die Architekten Lehm als Baumaterial eingesetzt. Er wurde als Deckenputz verwendet und an den Wänden wurde eine etwas widerstandsfähigere Kalkglätte verwendet. Der Lehm wirkt als Puffer zur Regulierung der Luftfeuchtigkeit in den Wohnungen und verspricht ein angenehmes Raumklima.
Im Gegensatz zu den Baufeldern B und D übernahm die PORR auf Baufeld F auch den Innenausbau des Gebäudes. Dabei handelt es sich um Wohnungen, die von den Architekten detailreich geplant wurden. Einige Bauteile des Innenausbaus haben sie sogar selbst designt und in Absprache mit der Bauherrschaft in Kleinserie in Auftrag gegeben. Zu den beauftragten Elementen gehören ein abgehängtes Metallküchenelement als Hängeschrank, ein abgehängter Spiegelschrank in den Nasszellen sowie ein Waschtischunterschrank. Eigens für dieses Projekt entwickelte Glasbausteinlampen befinden sich in den Eingangsbereichen zu den Wohntürmen sowie in allen Liftvorplätzen auf jeder Etage.
Technische Daten Baufeld F
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Bruttogeschossfläche51.500 m2
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Bürofläche5.950 m2
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Retail-/Gastrofläche2.850 m2
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Länge140 m
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Breite49 m
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Höhe56 m
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Fassadenfläche21.500 m2
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Umbautes Volumen178.750 m³
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Aushubmenge40.000 m3
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Verbauter Beton27.500 m3
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Pfähle131
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Stützen1.800
Fazit
Fünf Jahre lang hat die PORR an den drei Baufeldern des Stadtentwicklungsgebiets „Europaallee“ gearbeitet. Neben den drei Baufeldern hat die PORR SUISSE AG auch den Aufgang Europaallee und die Velostation errichtet, sowie die Postbrücke zurückgebaut. Im Sommer 2020 konnten alle Projekte termingerecht und zur vollsten Zufriedenheit der Bauherrn übergeben werden.