© Gábor Molnár on Unsplash
Nachhaltigkeit

Top 7: Grüne Fassaden

Begrünte Fassaden verbessern das Klima und die Luftqualität, sie dämmen Temperaturen ebenso wie Lärm. Und sie bereichern jedes Stadt- und Landschaftsbild.
Text: Karin Bornett

VTN Architects hat mit seinen Houses for Trees eine Reihe von Wohnprojekten mit einem ehrgeizigen Ziel gestartet: Grünflächen zurück in die Stadt zu bringen und „so viel Grün zu gestalten, wie in der ursprünglichen Landschaft vorhanden war, um den Menschen in der Stadt ein gesünderes Leben zu ermöglichen.“ Das Hauptkonzept dieser Häuser ist es, Raum zu schaffen, in dem Menschen in Städten wie in einem Wald leben können. Ein nachhaltiges Zuhause, „das in Harmonie mit der Umgebung existiert und versucht, Teil seiner Landschaft zu werden.“ Dabei sind Innen- und Halbaußenräume mit zahlreichen Pflanzen gefüllt. Tiefe Schatten als Teil der doppelschaligen grünen Fassade schützen gegen das heiße tropische Klima und vor Lärm. Die Bewohnerinnen und Bewohner können bei ihren täglichen Aktivitäten immer die Frische des Grüns spüren.

Die zwei Wohntürme, die Architekt Stefano Boeri geplant hat, machen ihrem Namen alle Ehre. Denn übersetzt bedeutet Bosco Verticale vertikaler Wald. Tatsächlich hat Boeri auf insgesamt rund 400 Terrassen etwa 800 Bäume, 4.500 Sträucher und mehr als 15.000 weitere Grünpflanzen und Kräuter angesiedelt und damit eine neue, kleine Biosphäre geschaffen. 2014 wurde das Projekt Bosco Verticale in Mailand fertiggestellt. Seitdem binden seine Pflanzen jedes Jahr rund 30.000 kg CO2. 2015 wurde Bosco Verticale vom CTBUH Council on Tall Buildings and Urban Habitat zum besten Hochhaus weltweit gekürt. Mit seinem vertikalen Wald hat Boeri ein Vorzeigebeispiel für gelungene Fassadenbegrünung geschaffen.

In Metropolen wie Paris, Budapest und Wien sind noch viele Gebäude aus der sogenannten Gründerzeit rund um den Beginn des 20. Jahrhunderts erhalten. In Zeiten der Industrialisierung wurde der Zuzug in die Städte immer stärker, es folgte ein Bauboom. Die Fassaden aus der Gründerzeit werden zum Teil schon seit mehreren Jahrzehnten von Pflanzen bewuchert und dadurch sogar vor aggressiven Schadstoffen in der Luft geschützt. Andere wurden in den vergangenen Jahren mit Bepflanzung aufgerüstet. Auch an Einfamilienhäusern – ob auf einer spanischen Finca, der italienischen Villa oder einem historischen Bauernhaus – sind grüne Fassaden ein Gewinn. Bestandsgebäude können nicht mit bodengebundenen Pflanzen begrünt werden, wenn Gehsteige oder Straßen den Boden entlang der Fassade versiegeln. Auch die Befestigung von Pflanzen direkt an der Wand kann bei alten Häusern schwierig sein, da alte Ziegel manchmal unberechenbar sind. Die Wände von Fachwerkhäusern etwa bestehen zu einem großen Teil aus Lehm und sind nicht die tragfähigsten. Dann setzt man troggebundene Varianten ein. Die Pflanzen wachsen also in Trögen oder Töpfen. Die mit Efeu und Co berankten Altbau-Fassaden sind in jedem Fall wertvoller Lebensraum und Nahrungsquelle für Insekten. Und: Sie sehen einfach gut aus.

Das Oasia Hotel Downtown im Herzen von Singapurs Central Business District ragt mit seiner grünen Fassade wie ein gigantischer Mammutbaum in die Höhe. Geplant hat den Turm das Architekturbüro WOHA. WOHA ist von den Vorteilen ihrer bepflanzter Fassaden überzeugt: „Sie fördern biologische Vielfalt, verringern den städtischen Wärmeinseleffekt, stellen Schatten und Kühlung zur Verfügung, verbessern die Luftqualität, mildern die Härte des Stadtbildes, stellen Lebensräume für Wildtiere wieder her und fördern die Verbindung der Menschen mit der Natur.“ Doch nicht alle ambitioniert begrünten Neubauprojekte sind so professionell geplant und nachhaltig umgesetzt wie das Oasia Hotel von WOHA. In Chengdu in China stehen zum Beispiel acht üppig begrünte Wohntürme so gut wie leer, weil dort ein starkes Insektenproblem herrschen soll. Gerade im großvolumigen Hochbau sind die Gebäudebegrünung und Grünflächengestaltung eine eigene Fachdisziplin, die jedenfalls erfahrenen Unternehmen überlassen werden sollte. Apropos, die IAT Greenline der PORR kümmert sich bei der Garten- und Grünflächengestaltung um alles – von der Planung über die Ausführung bis zur Wartung. Horizontal und vertikal. Das Oasia Hotel Downtown ist jedenfalls ein beeindruckendes Beispiel für gelungene Fassadenbegrünung. Die Pflanzen verleihen nicht nur dem Stadtbild eine wohltuende Atmosphäre, sondern bieten den Besucherinnen und Besuchern auch im Inneren und auf den zahlreichen Terrassenflächen viele Wohlfühloasen inmitten der Großstadt.

Die Häuser der Parkroyal Collection Hotels sind mittlerweile schon fast Ikonen der modernen, urbanen Fassadenbegrünung. Sie haben bereits zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Das Architekturkonzept umfasst Aufenthaltsqualität pur – vom Parkdeck bis ins Hotelzimmer. In Singapur wuchern zum Beispiel grüne Pflanzen von der Fassade des Parkhauses, als wollen sie sich Raum zurückerobern. Im Parkroyal in Kuala Lumpur bevölkern ganze Bäume die Balkone und Terrassen und lassen die Fassade atmen. Und im Parkroyal Collection Marina Bay in Singapur wurden auf 15.000 Quadratmetern insgesamt 2.400 Pflanzen aus mehr als 60 Arten verteilt. Am Dach wird außerdem auf 150 Quadratmetern das hauseigene Obst und Gemüse angebaut. Die Hotels sind Vorzeigebeispiele für zeitgenössische, grüne Architektur.

In Island sind es Torfhäuser, in Norddeutschland und den Niederlanden entstanden ab dem 18. Jahrhundert sogenannte Torfplaggenhütten. Auch in Nordamerika bediente man sich an Gräsern als Baumaterial. Gemeinsam haben die traditionellen Grassodenhäuser, dass ihre Dächer und Fassaden mit ausgestochenen Grasnarben gedeckt und gefüllt oder isoliert wurden. Sogar manche Kirchen hat man in der Vergangenheit so gebaut. Heute dienen die meisten noch erhaltenen Grassodenhäuser als Tourismusattraktion. Aber auch in der modernen Architektur nutzen im Boden versenkte Erdhäuser die Vorteile der natürlichen Dämmung von Gras und Erde. Die traditionellen Grassodenhäuser sind bestes Beispiel für ein harmonisches Zusammenspiel von Natur und Technik, Mensch und Umwelt.

Patrick Blanc ist Botaniker und Erfinder des Vertikalen Gartens (Mur Végétal). Seine begrünten Fassaden sind weltweit zu bewundern. Auf jedem dicht bevölkerten Kontinent hat Blanc Projekte verwirklicht und mit renommierten Architekturbüros zusammengearbeitet. In Madrid rankt zum Beispiel an einer Wand des CaixaForum die vielfältige Pflanzenwelt des französischen Gartenarchitekts und -künstlers. Das Gesamtprojekt wurde vom Architekturbüro Herzog & de Meuron geplant. Nicht nur in Metropolen wie Paris, New York und Madrid hat Blanc bereits gearbeitet. In Österreich ist ein Original beispielsweise im beschaulichen Wels zu finden.

Blancs patentierte Pflanzenwände wachsen an einem Leichtmetallgerüst, das PVC-Hartschaumplatten trägt. Auf die Platten kommt eine Lage Filz aus recycelten Acrylfasern. In einer zweiten Lage Filz sind Schlitze geschnitten, sodass die Pflanzen zwischen den beiden Filzlagen gesetzt werden können. Damit die Filzwände nicht reißen und keine Pflanzen herunterfallen, sind die beiden Filzwände mit Edelstahlklammern fest getuckert. Das Acryl aus Altkleidern bietet einen reichhaltigen Nährboden für viele Mikroorganismen, Bakterien und Pilze. Ganz oben befinden sich Bewässerungsrohre, die per Zeitschaltuhr gesteuert werden.

Blancs vertikale Gärten funktionieren quasi überall: an den Mauern von Bestandsgebäuden genauso wie an modernen Neubauprojekten und für kompakte Einfamilienhäuser. Auch Brücken können so begrünt werden. Die Menschen verfolgen das Wachstum der Pflanzen. Sie erleben die Jahreszeiten immer wieder neu. Blätter und Blüten zaubern abwechslungsreiche, teils spektakuläre Farbspiele und -kombinationen an die Fassaden und Wände.

Mit seiner Mur Végétal hat Patrick Blanc die moderne Fassadengestaltung definitiv bereichert. Und deshalb auch die Top-Platzierung verdient.

Weitere Artikel