ATCOST21 – Austrian Tunnel Consortium Stuttgart 21
Die PORR errichtet für das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm insgesamt mehr als 30 km Tunnelstrecke und 32 Verbindungsbauwerke.
Für das Projekt sind mehr als 80 Personen an vier Bürostandorten und über 450 Arbeiter vor Ort im Einsatz. Anspruchsvolle Rahmenbedingungen erforderten mitunter kreative und innovative Lösungen, die teilweise auch zum Patent angemeldet wurden.
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AuftraggeberDB Netz AG
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AuftragnehmerARGE ATCOST21 PORR Bau GmbH, PORR GmbH & Co. KGaA, G. Hinteregger & Söhne Bauges.m.b.H, Östu-Stettin Hoch- u. Tiefbau GmbH, Swietelsky Tunnelbau GmbH & Co KG
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ProjektartTunnelbau und Tiefbau
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LeistungsumfangBau eines 9,4 km langen zweiröhrigen Eisenbahntunnels und eines 6 km langen zweiröhrigen Eisenbahntunnels
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AuftragsvolumenEUR 720 Mio.
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Baubeginn08/2011
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Bauende12/2022
Allgemein
Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm ist aktuell die größte Infrastrukturbaustelle Deutschlands. Herzstück ist die Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart mit einem unterirdischen Durchgangsbahnhof und mehreren Zulauftunnels.
Das unter dem Namen „Stuttgart 21“ bekannte Bahn- und Stadtentwicklungsprojekt geht auf eine Idee eines Stuttgarter Professors für Verkehrswesen aus dem Jahr 1988 zurück. Mit der Realisierung wurde im Jahr 2011 begonnen. Der Zuschlag ging an das „Austrian Tunnel Consortium Stuttgart 21“ (ATCOST21) unter Federführung der PORR. Allerdings war der Weg bis zur Auftragserteilung durchaus steinig. Nach erfolgreicher Präqualifikation im Frühjahr 2010 wurden innerhalb von nur 11 Wochen insgesamt 3 Haupt- und 29 Nebenangebote auf Basis von 11 Nachsendungen und knapp 600 Bieterfragen und –antworten ausgearbeitet. Auf die Angebotslegung folgte ein elfmonatiges Verhandlungsverfahren. Am 31. Juli schließlich erteilte die Deutsche Bahn der ATCOST21 den Auftrag für die ersten zwei Baulose des Großprojekts, den 9,4 km langen zweiröhrigen Fildertunnel sowie die jeweils knapp 6 km langen Tunnel nach Ober- und Untertürkheim. Die insgesamt über 30 km Tunnelstrecken und 32 Verbindungsbauwerke haben ein Auftragsvolumen von über EUR 720 Mio.
Komplexe Logistik und Vortriebsarbeiten
Neben den bautechnischen Details lässt auch ein Blick auf das eingesetzte Personal die enormen Ausmaße des Projekts erahnen. Alleine in der Bau- und Projektleitung sind rund 80 Personen an vier Bürostandorten tätig. Dazu kommen inklusive Nachunternehmen und verteilt auf die Projektlänge von über 30 km mehr als 450 Arbeiterinnen und Arbeiter. Zur effektiven Koordination des Personals und für die speziell im Tunnelbau erforderlichen kurzen Informations- und Kommunikationswege setzt die PORR auf moderne Kommunikationseinrichtungen mit W-LAN und internen Richtfunkstrecken.
Herausfordernd gestalten sich neben der Logistik und Kommunikation aber auch die eigentlichen Vortriebsarbeiten für die mehr als 30 km Tunnelstrecken, die jeweils zur Hälfte mit einer Vortriebsmaschine sowie im konventionellen Bagger- und Sprengvortrieb aufgefahren werden. Ursprünglich waren dafür 7 Angriffsstellen vorgesehen, ein Zwischenangriff für den Fildertunnel sowie drei Zugangsmöglichkeiten für die Tunnelarbeiten sind aufgrund von Verzögerungen in den Nachbarbaulosen aber entfallen. Alle Arbeiten erfolgen somit von den verbliebenen drei Baufeldern am „Filderportal“, der „Rettungszufahrt Hauptbahnhof Süd“ und dem Schacht des „Zwischenangriff Ulmer Straße“, was zahlreiche Umstellungen in den Bauabläufen zur Folge hatte.
Teilbaustelle Filderportal
Das „Filderportal“ liegt direkt neben der Autobahn BAB 8 in unmittelbarer Nähe des Flughafen Stuttgart und ist der Hauptangriffsort für den Fildertunnel. Von hier aus werden zwischen der Filderebene und dem 155 m darunter liegenden Tiefbahnhof in sechs Abschnitten zwei Tunnelröhren mit einer Länge von über 17 km hergestellt.
Für die ersten beiden Abschnitte in den Ton- und Sandsteinformationen des „oberen Fildertunnel“ erfolgt der Vortrieb mit einer Tunnelvortriebsmaschine (TVM) mit Erddruck- und Druckluft-Komponenten zur aktiven Ortsbruststützung. Als Ortsbrust bezeichnet man die Stelle des Tunnels, wo der bergmännische Vortrieb stattfindet.
Für die beiden Abschnitte im „unteren Fildertunnel“ wurde die TVM im Berg auf eine offene Hartgesteins-Schildmaschine umgebaut. Aufgrund der Quellfähigkeit des durchörterten unausgelaugten anhydritführenden Gipskeuper darf in diesen Abschnitten kein freies Wasser eingesetzt werden. Sowohl für den Staubschutz von Mensch und Maschine als auch für die Reinigung von Geräten und Anlagenteilen mussten daher Sonderlösungen entwickelt werden. Auf Initiative und unter Federführung der PORR wurde für den „unteren Fildertunnel“ zudem eine innovative Konzeption für den Ringspaltmörtel entwickelt: Das Wasser in diesem zementfreien Mörtel ist chemisch derart aktiviert und gesättigt, dass in Verbindung mit dem Anhydrit im Gipskeuper praktisch keine Quellvorgänge ausgelöst werden können. Diese Neuentwicklung hat die PORR zum europäischen Patent angemeldet.
Die zwischen den TVM-Abschnitten liegenden jeweils ca. 1,1 km langen Streckenteile des „mittleren Fildertunnel“ liegen in geologischen Übergangszonen und wurden aus statischen Gründen konventionell im Sprengvortrieb aufgefahren. Aktuell erfolgt hier der zweischalige Ausbau mit bis zu 1 m starken bewehrten Innenschalen. Die Abdichtungsarbeiten mit Kunststoffdichtungsbahnen erfolgen wie im gesamten Projekt durch die PORR-Tochter IAT.
Das Auffahrkonzept des Fildertunnels folgt einem Sondervorschlag der PORR-Tunnelbauer. Dabei wurde die TVM durch den 1,1 km langen „mittleren Fildertunnel“ gezogen und vor der letzten Schildfahrt unterirdisch gewendet.
In nur drei Monaten wurde die komplette Vortriebseinheit in die Nachbarröhre überstellt. Am spektakulärsten waren dabei jene zwei Tage, an denen der ca. 1.400 to schwere und knapp 11 m hohe und breite Schildteil durch die knapp 12 m breite und 13 m hohe Wendekaverne gedreht wurde. Diese neuartigen Verschub- und Wendevorgänge für eine TVM inklusive Nachläufer und Logistik zählten für alle Beteiligten zu den Projekthighlights.
Rettungszufahrt Hauptbahnhof Süd
Mit ganz anderen Herausforderungen sahen sich die PORR Expertinnen und Experten bei der Rettungszufahrt „Hauptbahnhof Süd“ konfrontiert. Dort führt ein 240 m langer Zugangstunnel direkt in ein komplexes Verzweigungsbauwerk, in dem unmittelbar vor dem Tiefbahnhof vier Tunnelröhren in zwei zweigleisige Großtunnel münden. Dieser Abschnitt liegt mit Überdeckungen zwischen 20 m und 55 m direkt unter dicht bebautem Gebiet und wurde mit vorlaufenden Pfeilerstollen errichtet. Dabei wurde aufgrund der engen Lage der Röhren das Gebirge zwischen den vier Tunnels durch 10 m hohe und bis zu 6 m breite Stahlbetonpfeiler ersetzt.
Aktuell werden hier die letzten Tunnelmeter zum künftigen Tiefbahnhof hergestellt. Aufgrund der geringen Tunnel-Überdeckung - zum Teil liegt der Tunnel nur 8 m unter den Fundamenten der Oberflächen-Bebauung - werden aus zwei Schächten durch den PORR Spezialtiefbau auf über 12.000 m² vorlaufende Hebungsinjektionen durchgeführt. Dabei werden über ein dichtes Raster von Injektionsbohrungen zwischen Tunnels und Oberfläche die Setzungen aus dem Tunnel-Vortrieb im niedrigen zweistelligen Millimeter-Bereich gezielt ausgeglichen.
Zwischenangriff Ulmer Straße
Der Tiefbahnhof in Ober- und Untertürkheim wird mit einem neuen 6 km langen zweiröhrigen Tunnel an die aktuelle Bahnstrecke im Neckartal angebunden. Der einzige Tunnelzugang erfolgt über den Zwischenangriff Ulmer Straße. Ein 37 m tiefer Schacht mit einem Durchmesser von 22 m und einem 110 m langen Zugangstunnel ist der Ausgangspunkt für die insgesamt sechs Tunnelabschnitte der beiden Röhren.
Die Zuführungen nach Ober- und Untertürkheim sind die ersten vier bergmännischen Querungen des Neckar überhaupt. Die Abstände zur Neckar-Flußsohle betrugen in diesen jeweils 200 m langen Abschnitten nur zwischen 8,5 m und 18 m, der Abstand der im Durchmesser 10 m großen Einzelröhren zueinander im Minimalfall sogar nur 1 m. Deshalb galten bis zum Einbau der wasserdichten Innenschalen hier gesonderte Alarm- und Evakuierungspläne für Notfälle.
Die Vortriebsarbeiten im Los 1B erfolgten überwiegend im Sprengvortrieb unter Einsatz eines neu entwickelten Zündsystems, mit dem die Sprengerschütterungen an der Oberfläche gegenüber herkömmlichen Verfahren um bis zu 35 % reduziert werden konnten. Aktuell erfolgen noch Vortriebsarbeiten über jeweils wenige hunderte Meter zu den Durchschlagspunkten in Ober- und Untertürkheim. In den restlichen Tunnelabschnitten haben nach umfangreichen Abdichtungsinjektionen zur Konservierung der Grundwasserverhältnisse die Innenschalenherstellungen begonnen.
Technische Daten
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Querschläge32 Stk. und 3 Technikräume
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Bewehrungca. 80.000 t
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Tübbinglänge2 m
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Tübbingringe7.378 Stk.
Fazit
Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm ist auch für die PORR ein Projekt der Superlative. Für die mehr als 30 km Tunnelstrecken werden rund 3 Mio. m³ Gestein ausgebrochen und mehr als 1,2 Mio. m³ Beton verbaut. Im November 2019 ist das 100. Baumonat erreicht. Aktuell sind 65 % des Gesamtprojekts abgeschlossen.