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Nachhaltigkeit

Stadtplanung: Wie urbane Räume grüner werden

Nachhaltig ist eine Stadt, wenn sie über ausreichend leistbaren Wohnraum verfügt. Und Quartiere schafft, in denen sich die Menschen so wohlfühlen wie die Natur. Hier einige beeindruckende Beispiele.
Text: Gisela Gary

Es geht nicht nur um Fassaden- oder Dachbegrünungen. Es geht um großflächige Grünräume, die nachhaltig für spürbare Klimawandelanpassungen sorgen – wie zum Beispiel im Stadtentwicklungsgebiet Clichy-Batignolles in Paris. Hier wurde lange vor dem Spatenstich für die rund 6.500 Wohnungen bereits mit der Gestaltung des Parks mit verschiedenen Bäumen und zahlreichen resilienten Bepflanzungen begonnen. Die Zunahme von Hitzewellen führte zur Entwicklung des sogenannten Öko-Bezirks. Der Park wurde 2015 angelegt, wodurch die über 12.000 Bewohnerinnen und Bewohner bei der Fertigstellung des neuen 45 Hektar große Stadtentwicklungsgebiets im Jahr 2024 das üppige Grün bereits genießen können. Dafür erhielt das Projekt schon zahlreiche Auszeichnungen – unter anderem den Sustainable City Grand Prize oder den New Urban Districts-Preis. Eine vollständige Durchgrünung und ein Regenwassermanagement nach dem Schwammstadtkonzept zur Steigerung der Klimaresilienz wird im gesamten Öko-Bezirk umgesetzt. Das Regenwasser wird gesammelt und mit Hilfe einer Bewässerungswindpumpe zur Bewässerung der Neubepflanzungen genützt, aber ebenso für die Toiletten in den Wohnhäusern. Der neue Stadtteil baut auf geothermische Energieversorgung und nachhaltige Mobilität auf. Die hohe Transpirationsleitung der Grünanlage sorgt für stetige Kühlung und bildet somit nicht nur das geografische, sondern auch das symbolische Herzstück des neuen Quartiers. Es gibt kaum undurchlässige Fahrbahnen – bei den Durchwegungen kommen wasserdurchlässige Betonsteine und -oberflächen zum Einsatz. Die Stadt Paris will Clichy-Batignolles zu einem Modell für nachhaltige Stadtentwicklung machen, CO2-frei und ohne fossile Energie. Durch dieses Projekt will die Stadt ihre Ambitionen in Bezug auf gemischte Funktionen und soziale Vielfalt, Energieeffizienz, Reduzierung der Treibhausgasemissionen und Biodiversität verwirklichen.

Das Stadtentwicklungsgebiet Clichy-Batignolles in Paris. (c) Sergio Grazia, Philippe Guignard

Resilienz als Ziel

Singapur will bis 2030 die grünste Stadt der Welt sein, so steht es zumindest im Green Plan der Stadt. Dabei geht es um weit mehr als nur um Grünräume. Auch die Wirtschaft muss grün werden, die Ansprüche an Versorgung von der Logistik bis zu Energie sind ambitioniert. Resilienz ist bei allen Bemühungen das oberste Ziel. Der aktuell vermutlich futuristischste Park der Welt ist zugleich ein Beleg dafür, dass sich Technologie und Natur nicht ausschließen müssen. Im Gardens by the Bay wurden auf 18 bis zu 50 Meter hohen Supertrees Vertikalgärten mit tropischen Kletterpflanzen und Farnen angelegt. Die Beton-Stahlkonstruktionen vereinen Natur, Innovation und Technologie, denn die Bäume sammeln Regenwasser und Solarenergie für die Versorgung und Beleuchtung des Parks sowie der beiden Gewächshäuser. Abends gibt es zudem auf dem 101 Hektar großen Parkgelände, eine spektakuläre Licht- und Musikshow. Die beiden Hauptgewächshäuser überspannen eine Fläche von über 20.000 Quadratmeter. Thematisch befasst sich der Flower Dome mit in der Region kultivierten Pflanzen und der Erderwärmung. Zusätzlich verfügt der er über einen 35 Meter hohen Berg mit einem künstlichen Wasserfall. Im Cloud Forest wird die Beziehung zwischen Erde und Pflanzen erläutert. Die Gewächshäuser werden durch die Energie der Supertrees versorgt – die mit 20 Meter lange Brücken miteinander verbunden sind. Singapur verfügt über 300 Parks, die Hälfte der Landfläche ist unbebaut, begrünt und teils sogar Naturschutzgebiet. Ein radikales Gesetz ersetzt jeden verbauten Grashalm: Immer wenn neue Flächen erschlossen werden, muss die verlorene Natur in der Vertikalen ersetzt werden: Durch Fassadenpflanzen und ähnliche Begrünungen.

Die Gardens by the Bay in Singapur

Grün für alle

Eine der ältesten und zugleich eine der weltweit größten städtischen Grünfläche ist der Central Park im Zentrum Manhattans in New York. Der Park, der auch als die Grüne Lunge New Yorks bezeichnet wird, ist rund 349 Hektar groß. Er wurde 1859 errichtet, anfangs nur für die Reichen, doch bald wurde der Landschaftspark zum Grün für alle. Rund 25 Millionen Menschen besuchen jährlich die innerstädtische Parkanlage. Mit dem Stanley Park in Vancouver verfügt auch Kanada über einen beeindruckenden Stadtpark auf einer vier Quadratkilometer großen Halbinsel. Einst Jagdgebiet und Lebensraum der Squamish, eine kanadische First Nations, dienen die ursprünglichen Wälder und Grünflächen heute als Naherholungsgebiet mit Picknickplätzen, Liegewiesen und Sportanlagen. Den Park umrundet der etwa zehn Kilometer lange Stanley Park Drive, von dem sich immer wieder herrliche Ausblicke auf den Jachthafen und die Skyline der Stadt bieten.

600 Hektar Fläche bietet der botanische Garten Kirstenbosch in Kapstadt. Anders als in vielen anderen Anlagen lassen sich in Kapstadts Botanischem Garten, der auch ein UNESCO-Weltnaturerbe ist, weniger exotische, sondern vielmehr heimische Arten bewundern. Schätzungsweise um die 7000 einheimische Pflanzenarten wachsen hier. Eine wunderbare Sicht auf die vielen Pflanzen, Kapstadt und den Tafelberg bietet sich vom Baumwipfelpfad.

Mitten im Stadttumult

Eine aus den Siebzigerjahren stammende Hochstraße mitten in Seoul wird heute nur noch von Fußgängerinnen und Fußgängern genutzt – ein beispielhaftes, nachhaltiges städtebauliches Projekt. 938 Meter lang schlängelt sich der Parkour, der nun anstelle der ehemaligen Hochstraße ist. Die Seoul Station Overpass wurde ursprünglich gebaut, um eine Fahrzeugverbindung vom Namdaemun-Markt, dem größten traditionellen Markt in Seoul im Osten, über das Bahnhofsgebiet zu den verschiedenen Parks im Westen zu schaffen. Nach intensiven Sicherheitsinspektionen im Jahr 2006 erklärte die Stadt Seoul das 17 Meter hohe Bauwerk für unsicher und sperrte es. Nach einem Architekturwettbewerb und intensiven Diskussionen mit Anrainerinnen und Anrainern sowie Expertinnen und Experten entstand die Idee, die knapp 10.000 Quadratmeter große Überführung in einen Fußgängerweg und einen öffentlichen Raum mit viel Grün zu verwandeln. Der Entwurf für die Umgestaltung stammt von MVRDV, der neue Name für die Überführung lautet Seoullo 7017.

Die ehemaligen Auffahrten der Hochstraße wurden verkürzt und um weitere Zugänge, in Form von Treppen und Aufzugstürmen, ergänzt. Dazu zählen auch die Verbindungen zu den Obergeschossen der angrenzenden Hotel- und Geschäftsgebäude. Die größte Herausforderung jedoch war, den Bestand aus Stahl und Beton in eine grüne Oase zu verwandeln. 650 zylindrische, im Radius variierende Pflanztröge spiegeln die koreanische Flora wider. Neben der Vegetation gibt es zahlreiche kreisförmige Sitzbänke, Wasserbecken, Trampoline und sogar Durchbrüche, die den Blick durch den alten, aufgerissenen Beton nach unten erlauben. Darüber hinaus wurden kleine, runde Bauten geschaffen, die an die Brücke andocken und zusätzliche Funktionen – wie etwa Ausstellungsräume, Läden, Cafés oder eine Touristeninformation – beherbergen.

Das Projekt ist Teil einer städtebaulichen Initiative, mit der die Attraktivität der koreanischen Hauptstadt gesteigert werden soll. Seoullo 7017 zeigt, dass Stadterneuerung auch mit dem Erhalt von äußerst profanen Bauwerken aus den Siebzigern gelingen kann.

Grünraum statt Hochstraße: In Seoul gab die Stadt der Bevölkerung wieder ein Stück Natur zurück. (c) Ossip

Zudem gibt es eine städtische Baumschule, in der Bäume für die umliegenden Stadtteile aufgezogen werden. Zusätzliche Strukturen von Treppen, Aufzügen und Rolltreppen sowie neue Satelliten-Gärten können an den Skygarden angeschlossen werden und wie Äste aus den vorhandenen Pfeilern sprießen. Diese Erweiterungen sollen das Grün des öffentlichen Raums noch stärker mit den umgebenden Stadtvierteln verbinden.

Transformation der Städte

3Deluxe Architecture ist davon überzeugt, dass Autos nach und nach aus den Städten verschwinden werden. Ehemalige Straßen und Fußgängerwege sollen neu definiert werden. Das Ergebnis der Transformation soll eine menschenfreundliche, urbane Landschaft für umweltfreundliche Fortbewegung, Freizeit, Entspannung und Kommunikation in einem werden – am Beispiel von Kaunas, einer Stadt im südlich-zentralen Litauen mit knapp 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Im Zentrum fanden 3deluxe – umgeben von historischen Gebäuden – einen weitgehend ungenutzten Platz vor. Die dafür notwendigen Maßnahmen umfassten die komplette Neugestaltung des zentralen Platzes samt seiner an der Ostseite anliegenden Gebäude in Form von drei Neubauten sowie zwei Sanierungsfällen und einer Tiefgarage, die den gesamten Platz unterbaut. Das Ergebnis ist ein 22.000 Quadratmeter großer Stadt-Spielplatz. 3deluxe sind dieser Herausforderung in Form von zwei Gestaltungsebenen begegnet, welche die gesamte Fläche als Raster aus sichtbaren Bodenlinien strukturieren. Die eine Ebene verläuft stringent linear und bildet den historischen Kontext ab. Bestehende Sicht- und Wegeachsen finden so Berücksichtigung. Mit viel Grün entstanden Liegewiesen, ein Skatepark, eine programmierbare Brunnenanlage und eine Eventlocation. Das Ergebnis: eine Stadtlandschaft ähnlich einem englischen Garten – topographisch abwechslungsreich, überraschend, bunt und vielseitig. Heimische Kiefern und Birken sowie insektenfreundliche Gräser und Stauden kamen hier zum Einsatz. Kaunas gilt als Vorzeigebeispiel, wie man brachliegende Orte wiederbeleben kann, Platz für Begegnungen bieten kann, dem Klimawandel entgegenkommen und zugleich wertvolle innerstädtische Naherholungsräume schaffen kann.

Grünes Stadtwohnzimmer

Seitdem das in der japanischen Präfektur Gunma gelegene Maebashi 2016 das Motto "Wo gute Dinge gedeihen" ausgerufen hat, erlebt die vormals für ihre Seidenmanufakturen bekannte Industriestadt einen Boom, der wesentlich zur Wiederbelebung der Stadt beiträgt. Das Shiroiya Hotel ist dabei das sogenannte grüne Stadt-Wohnzimmer. Hitoshi Tanaka, Präsident der Jins Eyewear Company und selbst aus Maebashi, kaufte das baufällige Gebäude. Sein Ziel: eine Wiederbelebung und Verjüngungskur des aussterbenden Zentrums von Maebashi und ein grünes Stadt-Wohnzimmer für die rund 100 Kilometer nördlich von Tokio liegende Universitätsstadt – und ehemalige Industriestadt. Sou Fujimoto Architects renovierten das vierstöckige Stahlbeton-Hauptgebäude, für das sich Tanaka den Namen Green Tower wünschte. Die Architektinnen und Architekten erkannten schnell das Potenzial des Ortes und entschieden sich dafür, die Wände und Böden in allen vier Geschossen zu entfernen. Das so entstandene Atrium ermöglichte in Verbindung mit der erdgeschossigen Lounge die Vision eines Wohnzimmers für die Stadt, das Nachbarn, Passantinnen und Touristen dazu einlädt, sich an diesem Ort ganz natürlich und zwanglos zu treffen.

Das Shiroiya Hotel ist grün verpackt – ein Highlight in der japanischen Großstadt Maebashi. (c) Katsumasa Tanaka

Wo sich zuvor eine Terrasse über einem Nebenfluss des Tone befand, grenzt heute der neue Gebäudeteil mit einem Höhenunterschied von einem Stockwerk an den Bestand an. Den ursprünglich öffentlichen Fußweg von der Hauptstraße auf der Vorderseite hin zur Rückseite des Hauptgebäudes ersetzten Sou Fujimoto Architects durch eine grüne Bank, die in ähnlicher Weise verläuft, um den Höhenunterschied auszugleichen. „Wir waren der Meinung, dass etwas Drastisches notwendig war. Das Denkmal von Taro Okamotos - ,Bell of the Sun´ - wurde zu dieser Zeit in die Stadt verlegt, und so entstand die Idee, einen Hügel in das neue Gebäude einzubeziehen“, beschreibt Sou Fujimoto, wie es zu der Gestaltungsidee kam. Das Design des Green Tower ist von den ehemaligen Flussufern der Stadt inspiriert und steht im Einklang mit dem neuen Slogan der Stadt Maebashi: Sprießen.

Grüner Wolkenkratzer

Zurück nach Singapur: Dass auch Gebäude zu Mikroklima beitragen können, zeigt der grüne Wolkenkratzer Marina One. Ingenhoven Architects sehen ihren Bau als einen innovativen Beitrag zur Auseinandersetzung mit Megacitys, die gerade im tropischen Raum hinsichtlich Klimawandel und stetig wachsender Bevölkerung vor großen Herausforderungen stehen. Der nutzungsgemischte und hochverdichtete Gebäudekomplex von mehr als 400.000 Quadratmetern umschließt mit seinen vier zusammenstehenden Hochhäusern das Green Heart – einen sich über mehrere Stockwerke erstreckenden öffentlichen Raum. Diese dreidimensionale grüne Oase spiegelt die Vielfalt der tropischen Flora wider.

Das Marina One in Singapur

Das Green Heart als Kernkonzept vom Marina One wurde vom Architekten-Team in enger Zusammenarbeit mit den Landschaftsarchitektinnen und -architekten von Gustafson Porter + Bowman realisiert. Die Geometrie des Gebäudes und des Gartens ermöglicht eine natürliche Ventilation und produziert ein angenehmes Mikroklima. Die größte öffentliche, begrünte Fläche im Marina Bay Central Business District von Singapur bietet naturnahen Lebensraum, dessen Nutzfläche 125 % der ursprünglichen Grundstücksfläche beträgt. Marina One verfügt über vier Green Mark Platinum und LEED Platinum. Die beiden Bürohochhäuser haben eine Nutzfläche von jeweils 175.000 Quadratmetern, die beiden Wohnhochhäuser beherbergen in 1.042 Stadtwohnungen und Penthouses etwa 3.000 Bewohnerinnen und Bewohner.

Das Green Heart umfasst über 350 verschiedene Baum- und Pflanzenarten, darunter 700 Bäume, auf einer Grünfläche von 37.000 Quadratmetern. In konzeptioneller Anlehnung an die natürlichen Klima- und Höhenveränderungen eines Regenwaldes basiert die Landschaftsarchitektur auf dem Schema eines grünen Tals, das je nach Level variiert. Zum kompakten und effizienten Grundriss werden energiesparende Lüftungssysteme, hochwirksame äußere Sonnenschutzanlagen und eine Verglasung genutzt, die die Sonneneinstrahlung in das Gebäude reduziert. Marina One ist direkt ans öffentliche Verkehrsnetz angebunden – es gibt U-Bahn-Stationen, Bushaltestellen sowie Fahrradabstellplätze und Elektromobil-Ladestationen.

Die grüne Stadt ist längst keine Illusion mehr, es braucht aber mutige Bauherren und innovative Architektinnen und Architekten, welche die Verantwortung übernehmen, an der Zukunftsfähigkeit von Städten zu arbeiten.

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