Zwei Bauarbeiter in Schutzkleidung in einem tiefen, felsigen Baugraben, die auf eine komplexe Struktur aus Treppen und Plattformen blicken.
Nachhaltigkeit

U2 in Wien: Wenn zwei Große zu einer Einheit werden

Wie die PORR und die STRABAG gemeinsam und mit mehreren Abteilungen in Wien die U2 ausbauen. Eine Reportage von der Baustelle am Matzleinsdorfer Platz.
Text: Helmut Manuel Berger, Expert Corporate Media

Der Wind schiebt eine graue Wolkendecke über den Himmel. Und pfeift durch die ebenso grauen Häuserschluchten. Es hat gerade aufgehört zu regnen, die grauen Straßen sind noch nass. Eine Blechlawine rollt an uns vorbei. Man versteht sein eigenes Wort kaum. Also laufen wir zehn Minuten lang schweigend nebeneinander her. Bis ein Schild auftaucht. Mit einem Logo, das an eine Tunnelvortriebsmaschine, kurz TVM, erinnert. ARGE U2 steht daneben. Wir folgen dem Schotterweg bis ans Ende. Und schauen hinunter auf den Matzleinsdorfer Platz. In dieser grauen ­Umgebung entsteht Wiens grünstes Projekt. Denn von hier aus wird sich ab 2024 eine TVM durch den ­Untergrund der österreichischen Bundeshauptstadt graben.

Wir drehen uns um. Und finden in nebeneinander gereihten und übereinander gestapelten Containern ein top ausgestattetes Baustellenbüro inklusive Küche mit großem Fernseher und Besprechungsraum mit digitalem Whiteboard. Hier treffen wir die PORRianer, die für das Projekt mitverantwortlich sind: Harald Glösl, zweiter technischer Geschäftsführer vom Tunnelbau, Innendienstleiter Artur Herz, den stellvertretenden Projektleiter Peter Matulik vom Bahn- und Ingenieurbau und den kaufmännischen Projektleiter Christoph Emer. Mit ihnen reden wir über das Bauvorhaben und über die Zusammenarbeit zwischen Büro und Baustelle, zwischen verschiedenen Abteilungen und zwischen zwei Unternehmen, die immer als Konkurrenten wahrgenommen werden. Und wir merken schnell: Hier gibt es nur ein Team, eine Gemeinschaft, eine Einheit.

Linienkreuz U2/U5: Das größte Klimaschutzprojekt Wiens
Ein Plan des U-Bahn-Ausbaus der Wiener Linien mit verschiedenen Linienführungen.

Bitte alle einsteigen, Zug fährt ab

Das Linienkreuz U2/U5 ist das größte Klimaschutzprojekt der Stadt Wien. Wenn alles fertig ist, führt die neue U2 vom Wienerberg über den Matzleinsdorfer Platz, die Reinprechtsdorfer Straße, Pilgram- und Neubaugasse bis in die Seestadt. Und mit der U5 wird man vom Karlsplatz bis nach Hernals kommen. Dann können ein Drittel mehr Menschen die Wiener Linien nutzen. Die maximale CO2-Ersparnis liegt bei 75.000 t pro Jahr.

Dass der öffentliche Verkehr umweltschonender ist als der Individualverkehr, ist klar. Dass auch der Ausbau des öffentlichen Verkehrs sehr nachhaltig sein kann, beweist die ARGE U2. Von den Wiener Linien vorgegeben ist etwa die Abgasnorm Euro 5 für alle Lkw. Und die sind gar nicht so viel im Einsatz, wie sie sein könnten. Denn das Aushubmaterial wird größtenteils über einen zentralen Schacht an den Matzleinsdorfer Platz transportiert, der an der Triester Straße liegt, die wiederum direkt und schnell aus Wien hinausführt. Das spart rund 20.000 Lkw-Fahrten durch die Stadt und 75 t CO2. Außerdem: „Das Projekt, wie wir es jetzt umsetzen, ist aus dem Gedanken heraus entstanden, die Umwelt zu schonen. Fünf Baulose hängen zusammen, das macht einen kontinuierlichen Vortrieb mit der strombetriebenen TVM möglich. Auch die Verkehrsbelastung ist dadurch deutlich geringer“, erklärt der stellvertretende Projektleiter Peter Matulik.

Nächster Halt, die Gemeinschaft

Die ARGE U2 ist für die Baulose 17 bis 21 zuständig, die in einem Projekt zusammengefasst sind. Oft als Konkurrenz gesehen, arbeiten die größten Baufirmen Österreichs hier im Schulterschluss. Die PORR und die STRABAG haben eine Leistungsgemeinschaft gebildet und bringen sich zu gleichen Teilen ein – beim Personal, bei den Baugeräten, bei den Leistungen, bei den Entscheidungen. Und so wie beide gleich viel hineinstecken, bekommen auch beide gleich viel heraus. Alles wird geteilt. Fifty-fifty. „Deshalb gibt es auch nur selten Streitereien und Diskussionen“, sagt Harald Glösl. „Und weil alle Gewerke gleichzeitig arbeiten, können wir Synergien nutzen – bei der Baustellen­einrichtung zum Beispiel.“

Es gibt also keine Reibungspunkte? „Doch, die gibt es schon, gerade am Anfang. Man muss das ARGE-Denken erst in die Köpfe hineinbringen. Das ist ein Prozess. Es darf kein Misstrauen geben, deshalb ist es wichtig, alles transparent zu machen. Wir führen immer wieder Gespräche, setzen also auf Kommunikation, das funktioniert gut“, erklärt der zweite technische Geschäftsführer.

Was auch geholfen hat: ein eigenes Logo, das eine TVM symbolisiert. Die Farben: Rot und Schwarz für die STRABAG, Blau und Gelb für die PORR. „Uns geht es darum, als Gemeinschaft aufzutreten“, sagt Christoph Emer. Das ARGE-Logo hat man auch auf die Arbeitskleidung gedruckt und die dann ausgeteilt. „Immer mehr tragen das mittlerweile“, erzählt der Projektkaufmann.

Ein Bauarbeiter in leuchtend orangefarbener Schutzkleidung mit der Aufschrift des Projekts "ARGE U2xU5".
(c) PORR
Ein Bauarbeiter in leuchtend orangefarbener Schutzkleidung mit der Aufschrift des Projekts "ARGE U2xU5".

Trotzdem sind die PORR und die STRABAG überall präsent – auf Fahnen, Bauzäunen und Maschinen. Aber das gemeinsame Logo verbindet. Es macht aus zwei Unternehmen eine Leistungsgemeinschaft. Und hilft dabei, Differenzen zu überwinden, die ohnehin gar nicht so groß sind. „So unterschiedlich agieren und ticken die PORR und die STRABAG nicht“, sagt Peter Matulik, „zwischen den Gewerken gibt es mehr Diskussionen. Ein Tunnelbauer von der PORR und einer von der STRABAG verstehen sich meistens gut. Ein Kollege vom Spezialtiefbau und einer vom Ingenieurbau oder vom Tunnelbau aus demselben Haus haben eher ihre Meinungsverschiedenheiten.“

Das liegt, so der stellvertretende Projektleiter, an den verschiedenen Anforderungen, Aufgaben und Bedürfnissen. Ein Tunnelbauer ist es zum Beispiel gewohnt, mehrere Jahre auf einer Baustelle tätig zu sein. Während der Spezialtiefbauer kaum länger als zwei, drei Monate bei einem Projekt ist. Die Arbeitszeiten sind verschieden, die Unterbringung ist unterschiedlich – manche leben im Containerdorf, andere in einer Pension, und wenige haben das Glück, in der Nähe eine Wohnung zu haben. Genug Zündstoff also für Unstimmigkeiten. „Man muss mit den Leuten reden, auf sie zugehen und ihnen erklären, warum etwas ist, wie es ist. So ­unterschiedlich die Anforderungen auch sind, man muss alle gleichbehandeln“, sagt Artur Herz. „Wir sind immerhin einige Jahre mit diesem Projekt beschäftigt“, ergänzt Harald Glösl, „da ist es wichtig, dass wir uns gut verstehen.“

Nächster Halt, die Digitalisierung

Die Zusammenarbeit mit der STRABAG ist selbstverständlich sehr eng: „Dass nur PORRianer hier im Besprechungsraum sitzen – wie heute –, ist fast nie der Fall“, sagt Matulik. Sehr eng ist auch die Zusammenarbeit zwischen der Baustelle und dem Büro. Aber: „Wir sind die Schnittstelle zwischen Headquarter und Baustelle. Alles läuft gesammelt über uns, also über ein, zwei Personen. So können hier alle möglichst selbstständig arbeiten“, erklärt Glösl. Bei der STRABAG sei das auch so.

Apropos Zusammenarbeit: Die ist vor allem auch digital. „Da können wir viel voneinander lernen", sagt Artur Herz. Natürlich spielt LEAN ebenfalls eine wichtige Rolle. Für das Baulos 20 soll außerdem BIM zum Einsatz kommen. Und Besprechungen werden über Microsoft Teams abgewickelt. „Auch ohne Corona wäre das notwendig. Wir sind teilweise mehr als 50, bald mehr als 70 Menschen. Ohne digitale Lösung müssten wir für jede Besprechung ein Zelt aufstellen“, meint Matulik und lacht. Und dann gibt es noch eine eigene App, die Fotos zur Baustellendokumentation sofort auf einer gemeinsamen Plattform speichert.

Bestimmt auch digital verfügbar: Die riesige Karte des Baustellenbereichs, die Artur Herz an die Pinnwand im Besprechungsraum heftet. Inklusive Plan, auf dem genau zu sehen ist, wann wo welche Arbeiten verrichtet werden. Momentan gräbt sich der Spezialtiefbau der ARGE U2 in der Reinprechtsdorfer Straße, der Pilgram- und der Neubaugasse in die Tiefe, wo die Stationen sein werden. 

Eine Besprechungsszene, in der drei Männer in einem Konferenzraum miteinander diskutieren.
(c) PORR
Eine Besprechungsszene, in der drei Männer in einem Konferenzraum miteinander diskutieren.

„Die haben einen größeren Durchmesser als die Röhren, weil man unter anderem auch die Bahnsteige unterbringen muss. Deshalb haben wir beides: den zyklischen Vortrieb mit Bagger und Spritzbeton in den Stationen und bei den Notausstiegen und den kontinuierlichen Vortrieb mit der TVM, die dann durch die Stationen durchgezogen wird“, erklärt Peter Matulik. Ist die Tunnelvortriebsmaschine an ihrem Ziel, dem Augustinplatz, angekommen, wird sie an die Oberfläche gebracht und zurück zum Matzleinsdorfer Platz transportiert, von wo aus sie die zweite, die Weströhre graben wird. Und diese Baustelle schauen wir uns genauer an.

Nächster Halt, der Startschacht

Der Wind hat die Wolkendecke weggeschoben. Die Sonne taucht die graue Umgebung in ein freundliches Licht. Aber sie scheint nicht in den gewaltigen, 35 m tiefen Schacht, in den uns Daniel Harder von der Arbeitssicherheit nach einer Unterweisung führt. Es ist gerade noch Mittagspause. Für einen Moment sind wir alleine in der Tiefe. Stille. Mit großen Augen und offenem Mund schauen wir uns um. Von hier aus wird ab 2024 die Südröhre gebohrt, dafür laufen jetzt die Vorbereitungsarbeiten. Zum Beispiel finden die Bohrungen statt, die nötig sind, um den Boden zu vereisen. Denn an dieser kritischen Stelle ist besondere Vorsicht geboten: Über die Gleise, unter denen sich die TVM auf den ersten ­Metern durchgraben wird, fährt die Eisenbahn. Es ist die Hauptbahnroute der ÖBB Richtung Westen und Richtung Süden.

Plötzlich hören wir Schritte. Die Arbeiter kommen zurück und uns auf der Treppe entgegen. Und mit einem Schlag erwacht die Baustelle wieder zum Leben. Bohrgeräusche zerreißen die Stille. Und wir kommen zurück an die Oberfläche.

Eine Baustelle aus der Vogelperspektive, auf der mehrere Schienenstränge neben einer Autobahn verlaufen. In der Mitte befindet sich eine große, rechteckige Baugrube mit Stahlträgern.
(c) PORR
Eine Baustelle aus der Vogelperspektive, auf der mehrere Schienenstränge neben einer Autobahn verlaufen. In der Mitte befindet sich eine große, rechteckige Baugrube mit Stahlträgern.

Bitte alle aussteigen

Wir bedanken und verabschieden uns. Mit vielen Eindrücken mache ich mich auf den Heimweg. Zu Fuß, denn mit den Öffis würde ich mehr als 20 Minuten brauchen. Noch. In ein paar Jahren werde ich hier in die U2 einsteigen und daran denken, wie ich damals auf dieser Baustelle war. Und wie es hier ausgesehen hat. Denn die Gegend, die heute noch so grau und laut ist, wird durch die gute Anbindung aufblühen. Und dann, keine fünf Minuten später, wird mich die Durchsage in der U-Bahn aus meinen Gedanken reißen: Aussteigen bitte.

Das Projekt im Überblick

  • Projektart: Spezialtiefbau, Ingenieurbau, Tunnelbau, Bahnbau
  • Leistungsumfang: Neubau U-Bahn von rund 3 km Trassenlänge, 4,3 km TVM-Vortrieb und 2,2 km NÖT-Vortrieb, 4 Stationsbauwerke und 3 Notausstiege mit Lüftungsschächten, Gleisbau, diverse Hausertüchtigungen
  • Auftraggeber: Wiener Linien GmbH & Co KG
  • Auftragnehmer: ARGE U2 aus PORR Bau GmbH und STRABAG AG (50/50)
  • Leistungszeitraum: Februar 2021 bis Mitte 2028

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