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Nachhaltigkeit

Bionik: Die Natur als Vorbild

Geckofüße, Termitenbauten oder Seeigel – die Architektur schaut sich von der Natur einiges ab. Und macht Gebäude damit effizienter und nachhaltiger.
Text: Karin Bornett

Die Bionik erforscht natürliche Prozesse, Strukturen und Formen, um technische Probleme zu lösen. Baubionik macht Gebäude nachhaltig, anpassungsfähig und effizient. Die Natur hat große Projekte der Architekturgeschichte geprägt – nicht nur ihre Schönheit, auch ihr nachhaltiger Lebenszyklus und die effiziente Verwertung von Ressourcen. Gustave Eiffel hat sich beispielsweise für seinen berühmten Turm in Paris den Aufbau des menschlichen Oberschenkelknochens zu Nutze gemacht. Er setzte die zahlreichen Verstrebungen, sogenannte isostatische Rippen, die sich in Skelettknochen befinden, auf seine Stahlkonstruktion um. So konnte Eiffel unter minimalem Materialaufwand größte Stabilität erzielen. Mit mehr als 300 m war der Eiffelturm das höchste Bauwerk seiner Zeit.

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Gebäude, die atmen

Die Bionik hat auch Lösungen zur Optimierung der Energieeffizienz von Gebäuden parat. So können natürliche Prozesse wie die Photosynthese genutzt werden, um Gebäude zu kühlen oder zu heizen. Ein Beispiel ist das BIQ-Haus in Hamburg. Mit Algen gefüllte Glaspaneele an seiner Fassade speichern Sonnenenergie und können das Gebäude kühlen. Mit dem Eastgate Centre in Harare, Simbabwe, wurde bereits 1996 ein bionisches Bürogebäude mit Lüftungselementen nach dem Prinzip der Termiten eröffnet. Es umfasst 5.600 m² Verkaufsfläche und 26.000 m² Bürofläche, die mit ausgeklügelten Luftschächten energieeffizient temperiert werden. So gelangt kühle Luft aus dem Atrium in das System, die dann durch Öffnungen in den Fußleisten in die einzelnen Räume strömt. 48 Kamine erwärmen passiv die Luftmassen – wie bei den Termiten. Die warme Luft wird durch diese Kamine abgesaugt und im Beton gespeichert. So steht nachts und an kühlen Tagen Wärme zur Verfügung. Das Belüftungssystem war auch Vorbild für das 2001 fertiggestellte Portcullis House in London, in dem die Büros der Abgeordneten des House of Commons untergebracht sind.

Die Mikroalgen-Fassade

Gut kopiert: Kokon, Seeigel und Geckofüße

Ein gutes Beispiel für sogenannte biomorphe Gebäude ist das Eden Project in Cornwall, England. Das Projekt umfasst mehrere Gewächshäuser, die als Biome bezeichnet werden und verschiedene Klimazonen der Erde simulieren. Das Design der Biome orientiert sich an den natürlichen Formen von Kokons und Seeigeln. Der Begriff biomorph bezieht sich auf die Formen und Strukturen der Natur. Auch das Gecko-Tape® kopiert eine Oberflächenstruktur der Natur: die von Gecko- und Käferfüßen. Die Folie ist komplett klebstofffrei. Ihre Haftkraft entsteht durch die besondere Geometrie der Mikrostrukturen. Das System haftet auf verschiedensten Oberflächen – von glatten Fliesen bis unebener Haut – und ist restlos entfernbar. Das macht das Tape für medizinische Anwendungen genauso interessant wie für die Innenausstattung oder Fassadengestaltung von Gebäuden.

Eden Project (c) Max Siegmayer - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0

Wenn die Chemie stimmt

Neben Formen und Strukturen spielen auch das Material und seine Zusammensetzung eine wichtige Rolle in der Bionik. Die moderne Forschung an natürlichen Prozessen und chemischen Verbindungen bringt laufend neue Baustoffe hervor. Das Unternehmen Biomason hat zum Beispiel nachwachsenden Zement nach dem Vorbild von Korallenbildungsprozessen entwickelt. Seit 2012 züchtet das Unternehmen strukturellen Biocement® mit natürlichen Mikroorganismen. Bakterien verändern den pH-Wert des Zuschlagstoffs so, dass Calciumcarbonat gebildet wird. Dieses bindet den Zuschlagstoff mit weniger Kohlenstoffemissionen. Laut Hersteller spart jedes Kilogramm des Baustoffs im Vergleich zur herkömmlichen Variante bis zu 1 kg CO₂.

Neue Erkenntnisse und Methoden ebenso wie nie dagewesene Ansprüche und Herausforderungen treiben Innovationen voran. Die Bionik ist im Angesicht von Nachhaltigkeit und Klimaschutz weiterhin ein vielversprechendes Forschungsfeld. An der Universität Princeton arbeitet beispielsweise ein Team rund um Sigrid Adriaenssens, Professorin der Ingenieurwissenschaften, an Schutzschirmen für Gebäude, die auf Sonnenlicht reagieren – wie Blüten, die ihre Blätter öffnen und schließen. Möglich machen sollen das die Elastizität, Geometrie und Thermobimetalle in den Schildern. Architekturprofessorin Jenny Sabin und ihr Forschungsteam beschäftigen sich mit photolumineszentem Gewebe. Sein Aufbau und Verhalten sind dem von Zellgewebe nachempfunden. Ebenfalls aus dem Sabin Design Lab an der Cornell University kommen spannende Forschungsergebnisse über strukturelle Farbe. Vorbilder in der Natur sind beispielsweise die Flügel von Schmetterlingen der Morpho-Gattung oder das Gefieder von Kolibris. Das einzigartige Zellverhalten, die Materialeigenschaften und -effekte könnten sich unter anderem für skalierbare Gebäudehüllen mit reaktionsfähigen Werkstoffen nutzbar machen, die auf Umweltsignale reagieren.

Wussten Sie, ...

  • … dass der Eiffelturm nur 10.100 Tonnen wiegt? Die Konstruktion aus Stahl mit ihrer Höhe von 324 m gilt als Ultra-Leichtbauwerk.
  • … dass sich der Begriff Bionik aus den Wörtern Biologie und Technik zusammensetzt?
  • … dass man sich auch von den Bienen einiges abschauen kann? Von den Bienenwaben, genauer gesagt. Deren Struktur ist leicht und sehr stabil. Und so gibt es zum Beispiel Wabenplatten aus Papier, die unter anderem als Zwischenlage auf Paletten genutzt werden. Für die Raumfahrt und den Flugzeugbau gibt es solche Wabenplatten auch aus Plastik oder Aluminium.

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